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25. April 1974 Lissabon - ein Augenzeuge schildert seine Erlebnisse

Wolfgang

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Die Vorgänge in diesem Land waren sehr ungewöhnlich in den letzten 3 Wochen.
Mein persönliches Politbarometer in Portugal schlug täglich aus in alle möglichen Richtungen - und das ohne vorherige Warnung. Ich fühlte es - Portugal war ernsthaft krank. Ich wusste: das ist eine chronische Erkrankung, ohne Aussicht auf Heilung - auch nicht mit einer größeren Operation und ich war total ahnungslos, welche Krankheit es sein könnte.

Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Die Sonne schien, die Luft war klar und die Stadt glänzte wie aus einer Kristallkugel. Alle Bäume waren jetzt in diesem gewissen hellen, ungebrauchten grün, mit den frischen Trieben und Frühlingsblumen schossen allerorts hervor.

Das alles genoss ich aus meinem Fester im obersten Stockwerk des Gomes Freire Gebäudes. Die Sicht dort war einfach umwerfend. Man konnte fast ganz Lissabon überblicken. Alles schien friedlich und ruhig an diesem herrlichen, sonnigen Morgen. Nur die Tore der Militärakademie waren geschlossen obwohl sie um diese Zeit hätten weit offen sein müssen - und ich bemerkte innen im Hof eine kleine Rangelei zwischen 4 oder 5 Soldaten, aber nichts Gravierendes oder Außergewöhnliches.

Es war vielleicht so gegen 8 Uhr morgens und ich dachte mir: JA - das ist meine geliebte Heimat. Das allgemeine Klima ist zwar gereizt, aber wen interessiert das schon; wahrscheinlich nur eine leichte Verspannung, die rasch wieder verschwunden sein wird.

Unten auf der Straße, als ich in mein Auto steigen wollte, rief mir der Vater meines Freundes Fernando etwas zu, was ich jedoch nicht verstand - so antwortete ich: "Ja, was für ein herrlicher Morgen".

Stolz und überaus glücklich fuhr ich über den Largo de Estefânia Richtung Flughafen in meinem brandneuen, hell oragen Dieser Link ist leider nicht mehr erreichbar. Der Verkehr war mäßig an diesem Morgen. Mein einziges Problem, was meine gute Laune etwas trübte, war nur diese blöde Musik im Auto. Der einzige Sender, der zu empfangen war, war ein Sender mit typischer Volksmusik aus dem Alentejo - nicht gerade mein Musikgeschmack - und alle anderen Sender waren irgendwie nicht zu empfangen.

Oh oh - nicht gut. Ein nagelneues Auto und schon das Radio kaputt. Ich stellte das Radio aus, um nicht immerzu fortwährend dieses schreckliche "Grandola Vila Morena" hören zu müssen.

Der Rotunda do Relógio - der Kreisverkehr mit der großen Uhr im Grünen, war die Hauptverbindung zum Flughafen
In den Kreisverkehr einzufahren war kein Problem, auch ohne Ampel. Als ich zum Flughafen ausfahren wollte, wurde ich von einem Soldaten angehalten. Einige andere Soldaten standen herum und ich glaube ich sah auch einen Armee-Mannschaftswagen im Hintergrund.

"Was ist denn los?" fragte ich

"Die Straße ist gesperrt, Sie können nicht weiterfahren, tut mir Leid " antwortete der Soldat.
"Wie? Seid ihr wahnsinnig ? Ich kann nicht weiterfahren? Wissen Sie, was das für mich bedeutet? Ich habe heute meine ersten Arbeitstag bei der TAP und Sie sagen mir, ich kann nicht weiterfahren? Sie ruinieren meine Zukunft! Mein ganzes weiteres Leben hängt davon ab und Sie verbieten mir die Weiterfahrt? Das können Sie nicht machen"

Es wäre mein erster Lehrgangstag zum Flugbegleiter bei der portugiesischen Luftfahrtgesellschaft geworden.

"Ist ja gut, mein Herr, regen Sie sich nicht auf und warten Sie bitte einen Moment", sagte der Soldat.
Er kam dann auch gleich mit seinem Vorgesetzten, einem Unteroffizier zurück.
"Sie dürfen nicht weiterfahren, das gesamte Gebiet ist gesperrt."
"Das ist unmöglich, ich muss zum Flughafen, weil blablabla...". Ich erzählte ihm das Gleiche nochmal.
"Ah so, mein Herr, warten Sie bitte einen Moment"
Dann kam der Feldwebel. Die gleiche Geschichte von vorne.
"Ok, mein Herr, warten Sie bitte einen Moment"
Dann erschien der Leutnant an meinem Autofenster und sagte im Befehlston.
"Drehen Sie bitte um und fahren Sie nach Hause"
Ich schrie: "Aber... verstehen Sie nicht? Die feuern mich gleich an meinem ersten Arbeitstag!"
Es war wiederum der Leutnant, der sich erneut zu mir drehte und ganz ruhig und lässig sagte:
"Nichts wird dergleichen passieren, weil wir soeben dabei sind, die gesamte TAP zu evakuieren. Keiner wird Sie dort vermissen. Vertrauen Sie mir. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort - Sie werden Ihren Job behalten. Also drehen Sie jetzt bitte um und fahren Sie nach Hause."

Zu Hause angekommen bekam ich einen Anruf meiner Freundin Maria: "Bleib im Haus - geh nicht auf die Straße. Wir haben eine Revolution im Land. "Revolution? Was für eine Revolution?!"

Jetzt - nach 36 Jahren Flugbegleitung um die ganze Welt, weiß ich, was Revolution ist. Eine Revolution ist, was wir heute um uns herum in Portugal sehen. Ich würde gerne den Leutnant von damals wieder treffen und ihn umarmen für seine besinnenden und ehrlichen Worte, die ich niemals vergessen werde.

Seitdem wird jedes Jahr in Portugal am 25. April an diesen schicksalhaftenTag erinnert und ein großes Fest gefeiert.
Ich denke manchmal, sie machen es alle zum Gedenken an meinen ersten Arbeitstag bei der TAP, der nie existierte...



 
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hi wolfgang -dicke umarmung, :hugs: weil du die [DLMURL="http://www.portugallierforum.de/geschichte-kultur-and-politik/2652-o-primeiro-dia-do-emprego-minha-vida-que-nunca-existiu.html"]geschichte von luís[/DLMURL] ins deutsche übersetzt hast. und vielen dank für das filmchen aus seinen fotos. ist toll geworden.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Cool, Wolfgang! Sehr schön geworden! :)

Und ich wäre irgendwie schon echt sehr gerne dabei gewesen, an diesem 25. April 1974... :pirat:

Bjs, Eli
 
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