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Von Münster nach Lissabon: wie furchtbar!

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16. Sep. 2009
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Mein Vater war als Offizier bei der Bundeswehr, d.h. etwa alle 3 Jahre Ortswechsel.
1964 war es dann soweit, ich war 15 Jahre alt, hatte mich gerade in Münster/Westfalen so richtig gut eingelebt, meine Freundinnen und einen großen Freundeskreis.
Mein Vater kam nach Hause und sagte zu meiner Mutter und mir: "Ich werde nach Lissabon versetzt."
Ich fing sofort an zu heulen und zu zetern, doch ohne Erfolg.

Mein Vater wurde nach Euskirchen auf die Sprachschule geschickt und meine Mutter und ich fingen an, den Umzug zu organisieren. Das war nicht sonderlich schwer, denn die Bundeswehr zahlte, ebenso wie das Schulgeld für mich in der Deutschen Schule Lissabon.

Wir wohnten außerhalb von Lissabon an der "linha", erst in Paço d´Arcos, dann sind wir noch einmal umgezogen nach S. Pedro de Estoril in ein Haus mit Pool , aber all das wollte ich nicht. Ich jammerte meinen Freunden nach.
In Paço d´Arcos hatte ich einige Leute kennen gelernt, denn ich war mutterseelenallein am Strand , als eine etwa 20-Jährige mich auf englisch ansprach , die sich mit einer Gruppe Jugendlicher in der Nähe aufhielt, und mich fragte, ob ich mich nicht zu ihnen gesellen wollte.
Natürlich wollte ich und so hatte ich den ersten Kontakt zu Portugiesen aus meinem Ort. Meine portugiesischen Mitschüler wohnten weit verstreut, da lief auch die Unterhaltung auf deutsch.
Da ich nicht ein einziges Wort portugiesisch sprach, haben wir uns auf englisch verständigt, was in diesem Fach meine Schulnote sehr schnell verbesserte.
 
Oh, wie schön, mal wieder was aus dem echten Leben!
Danke, Petra. Aber nun lass uns nicht hängen. Wie ging es denn dann weiter?
 
hi petra -
ich kann alegra nur zustimmen!
hoffentlich wird fortgesetzt???!!

dass die leut immer solche cliffhnager machen müssen :cool:
 
Als Osnabrücker ( mit wurzeln in HH) kann ich nur sagen....
...Du hast Dich doch auf alle Fälle verbessert! :)
Aber wie gings weiter....
 
mein Alltag in Portugal

Meine Mutter und ich hatten ständig unterschiedliche Auffassungen darüber, wann eine 15-jährige abends zu Hause sein muß. Für mich hieß es 22.00 Uhr. Das mag ja zu der Zeit (denkt dran, es ist 46 Jahre her) in Deutschland liberal gewesen sein, aber nicht in Portugal. Zu dieser Uhrzeit gingen meine portugiesischen Freunde nach dem Abendessen erst aus dem Haus. Meine Mutter ließ sich nicht erweichen.:weep::weep:

So habe ich es immer ausgenutzt, wenn meine Eltern nicht da waren und habe mich aus dem Haus geschlichen, es ist auch immer gut gegangen.

Durch unseren Umzug nach S. P. d. Estoril wurden meine Kontakte noch weniger, denn sie beschränkten sich auf die Wochenenden. Ich fuhr nachmittags mit dem Zug nach P.d.A. ins Stammcafé und dort "hingen" wir ab, heute würde man vielleicht chillen sagen. Ich war das Nesthäkchen, 2 weitere Mädchen waren noch in meinem Alter, die anderen 5-7 Jahre älter, d.h. sie hatten einen Führeschein. So kurvten wir dann durch die Gegend oder suchten jemand, der eine eigene Wohnung hatte und spielten dort Canasta, im Winter natürlich im Mantel!!!

Durch die kalten und feuchten Winter wurde ich ziemlich krank, ich hatte ernsthafte Nierenprobleme und mußte das Bett hüten.

Meine Freundinnen besuchten mich und waren bass erstaunt über mein Zimmer und ganz besonders über die Daunendecke, die sie immer wieder befühlten.

Ich hatte ein typisch deutsches "Jungmädchenzimmer" eine Schlafcouch mit Umrandung und Bettkasten in dem das Bettzeug tagsüber verschwand, einen Plattenspieler, Poster an den Wänden, Spiele und anderen persönlichen Krimskrams. Welch ein Unterschied zu den portugiesischen "quartos", in denen nur geschlafen wurde und wo im Winter die Anzahl der Wolldecken erhöht wurde.

In unserem Haushalt lebte ein Dienstmädchen, Zimmer und Bad hinter der Küche, die ebenfalls der Hintereingang war.

Die "criada" , welch schreckliches Wort, heute würde ich empregada domestica vorziehen, hätte niemals das Haus durch den Vordereingang betreten und mußte auch in der Küche essen. Das war damals so üblich.
Das Dienstmädchen baute morgens das Bett ab, deckte es abends wieder auf und so hatte ich keinerlei Pflichten in Haushalt.

Mit dem Wörterbuch in der Hand und einem Zettel, den meine Mutter dann schrieb, sollte sie einkaufen gehen. Das erwies sich fast als unmöglich, denn zu der Zeit gab es noch keine Schulpflicht, unsere "Minna" konnte nicht lesen.

Also zog sie gemeinsam mit meiner Mutter los, meine Mutter zeigte auf die Sachen, die sie haben wollte und "Minna" trug sie dann nach Hause.
 
Dein Vater war in Euskirchen in "meiner" Villa Friedrichsruh!
Als die Sprachenschule auszog und nach Hürth verlegt wurde, kaufte mein Vater das Haus und schenkte es seinen Kindern.
Ich wohnte darin bis zu meinem 32. Lebensjahr.

In dem Haus und in den vielen Baracken im Garten wurden sogar russische Dialekte gelehrt! Als ob es dort für deutsche Soldaten ein Wiedersehen geben könnte!

heute gehörtDieser Link ist leider nicht mehr erreichbar einem ehemaligen Freund, der für seine Litauengeschäfte eine repräsentative Villa suchte, und für den ich in Portugal -zum Dank und mit einwenig zuviel Vertrauen- ein Rohhäute Händler wurde....
:weep:
 
Ola petra!
Schöne Geschichte,bitte schreib doch noch ein bischen was aus der alten Zeit!:yes::yes:

@ralf: Was sind denn bitte "Rothäute":noplan::noplan:

periquita:pirat:
 
Lesen müsste man können..

Oh Mann,kleiner Fehler große Wirkung:D:D

Rothäute fand ich halt voll spannend irgendwie..

@olsenfire:Deiner Mannschaft viel Glück heute Abend!:D:cool:

periquita
 
Kurz Off Topic..

@olsenfire

Wenn Osna gegen K`lautern so spielt wie gegen 96 besteht doch wohl keine Gefahr für euch...:cool:

periquita:pirat:
 
Schulzeit in der DSL

Ich habe ja schon erwähnt, dass ich auf die Deutsche Schule in Lissabon gegangen bin.

Morgens in die Bahn, um von der "linha" nach Lissabon zu fahren, (im Zug konnte man wunderbar die restlichen Schularbeiten erledigen, d.h. abschreiben). Am Cais de Sodré standen dann die Schulbusse , die uns zur Schule brachten, einmal ganz durch die Stadt weit hinter dem Campo Grande. Das Schulgelände war eingezäunt. Hinter der Schule befand sich eine Quinta, ich glaube sogar, sie hieß Quinta alemã, in Anlehnung der Nähe zur DSL.

Wie schön war es doch, in der großen Pause oder einer Freistunde mit einigen Klassenkameraden über den Zaun zu klettern (natürlich im engen Rock und Pumps, denn ich war ja schon "groß"), um in besagter Quinta ein Glas Rotwein oder auch zwei zu trinken, zum Preis von 5 Centavos, damals 7 Pfennige.

Ich kam mir so erwachsen und verwegen vor und wurde auch nie erwischt.

Ich habe meine Schulzeit gehaßt, ganz besonders Mathe, Physik und Chemie, und das alles beim gleichen Lehrer. Den traf ich Jahre später in Karlsruhe auf der Straße wieder und er fragte: "Kannst Du jetzt endlich rechnen??"

Was muß ich bei dem armen Mann für einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben.

Im Unterricht ging die "Bravo" durch die Reihen, ich hatte natürlich keine eigene, ich wurde erwischt und meine Antwort war: besser lesen als essen oder schwatzen.

Wenn man an die heutigen Schulen denkt, war das ja mehr als harmlos.

Mein Mathelehrer hatte mich zu Nachsitzen verdonnert, aber er hatte einen großen Fehler gemacht.
Die Klassen waren ebenerdig und draußen standen meine Klassenkameraden, um meine Aufgaben zu lösen :D

Ich hatte auf dem Abschlußzeugnis in Mathe eine 5, in Physik und Chemie eine Gnaden-4, der Lehrer hätte es wohl auch nicht ein Jahr länger mit mir ausgehalten.
 
Sommerferien und Besuch aus Deutschland

Endlich gab es Sommerferien und meine beiden Münsteraner Freundinnen Dagmar und Beate kamen angereist.

Zu der Zeit brauchte man für die Einreise noch einen Reisepass, ein Personalausweis reichte nicht.

Wir als Residenten hatten einen Ausweis von der PIDE, Salazars Geheimpolizei, mit dem wir unsere Aufenthaltsberechtigung nachweisen konnten.

Also, mit Mutter und Vater zum Flughafen, um Beate und Dagmar abzuholen, meine Freude war riesengroß. Aber man ließ die beiden nicht durch die Paßkontrolle, weil eine von beiden keinen Reisepaß hatte. Es hieß: mit der nächsten Maschine zurück.

Auf beiden Seiten großes Geheule, der Flughafen Lissabon war damals so klein, dass wir einander sehen konnten. Alles Reden und Bitten half nichts, was nun???

Da zückte mein Vater seinen PIDE-Ausweis und die beiden Mädels wurden umgehend durchgelassen mit der Auflage, am nächsten Tag einen provisorischen Paß von der Deutschen Botschaft zu bringen.

Mit diesem PIDE Ausweis konnte ich ungehindert zu Fuß aufs Rollfeld, um meine Mutter abzuholen, die mit einer Militärmaschine aus Deutschland gekommen war. Heute unvorstellbar!!!!

Noch mehr als ich freuten sich meine portugiesischen Freunde, besonders die Jungs, auf das "Frischfleisch", obwohl beide Mädels dunkelhaarig waren, aber zu der Zeit gab es außer alten Engländerinnen keine Ausländer in unserer Gegend, wir waren und blieben die Exoten.

Die große Flirterei ging los und auch ich durfte plötzlich abends ausgehen, so hatten wir eine Menge Spaß miteinander.

Einmal waren wir 3 Mädels allein (ohne die Clique) am Strand und waren nach kurzer Zeit umringt, wir haben souverän die Parade abgenommen.
Das Bild sehe ich heute noch vor mir: wir Mädels in der Mitte und um uns rum ein Kreis von Jünglingen mit begehrlichen Blicken und teils sichtbaren Emotionen.
 
Petra Zarke schrieb:
...teils sichtbaren Emotionen.
heheheheh
:cool:
schad dass du daaavon keine fotos hast! :holy:

mach bloß weiter mit diesen wunderschönen geschichten aus dem "alten" portugal! :yes:
man kann sichs heute ja kaum mehr vorstellen, wie das gewesen sein muss. und die sache mit dem PIDE-ausweis, der soviel bewirkt hat - kaum vorstellbar.
 
Hallo Petra,

ich hab mal ein wenig rumgestöbert und bin auf deine Geschichte gestoßen....
...will ich mehr lesen. :yes: :yes: :yes:

Bitte schreib doch weiter.

Zur Schulpflicht.... es gab Schulpflicht. Meine Eltern erzählen jedem der es hören möchte, dass man früher bis zur 4. Klasse in die Schule gehen musste. Wer es sich leisten konnte, ging auch ein paar Jahre mehr.
Gerade in armen Familien, wurden die Kinder eher zum arbeiten geschickt, damit se ihren Anteil am Familieneinkommen beitrugen, statt se "untätig" in einer Schule "rumsitzen" zu lassen.

LG
Nana
 
Hallo Nana,

das mit der Schupflicht in P kenne ich auch noch.Unser Dienstmädchen hatte die 4. Klasse abgeschlossen, das bedeutete offensichtlich, dass sie Portugal verlassen durfte.Sie hat meine Mutter so bearbeitet, sie mit nach D zu nehmen, aber das ging leider nicht.Wir haben sie aber sehr vermißt, unsere Celeste.

LG

Petra
 
Hallo Petra,

ich wollte es nur richtig stellen, da du hier folgendes geschrieben hast.
denn zu der Zeit gab es noch keine Schulpflicht

das mit der Schupflicht in P kenne ich auch noch.Unser Dienstmädchen hatte die 4. Klasse abgeschlossen, das bedeutete offensichtlich, dass sie Portugal verlassen durfte.
Ich bezweifle, dass die Ausreise mit der Schulbildung zu tun hatte. Ich schätze vielmehr, dass se sich einfach ein besseres Leben erhoffte und Salazars Regierung einfach entkommen wollte. Damit war se ja nicht allein.

Aber erzähl doch bitte weiter....
 
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