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Henrietta Bilawer Stammbaum der Region Algarve

Wolfgang

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Der Artikel, den ich heute vorstelle, stand schon vor gut einem Jahr in der Zeitung 'Barlavento', aber das Projekt, das beschrieben wird, hat nicht an Interesse verloren. Nuno Campos Inácio, den ich kennengelernt habe, als ich häufig am Amtsgericht in Portimão als Dolmetscherin arbeitete und Nuno dort Rechtspfleger war. Später, als Nuno schon seiner neuen Berufung zur Ethnologie gefolgt war, habe ich häufig journalistisch mit ihm gearbeitet. Nuno hat sich dem von ihm gegründeten Online-Projekt «Genealogia do Algarve» gewidmet und bringt dabei Wissen über die Region und ihren Bewohner hervor, das man nicht in Büchern findet. Ende des 19. Jahrhundert gab es in der gesamten Algarve gerade mal 50.000 Einwohner – so viele, wie heute allein in Portimão leben.

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Nuno erzählte, dass er bei der Geburt seiner Tochter Vitória einen Stammbaum der eigenen Familie erstellte, um für die Tochter einmal ein größeres Bild der eigenen Familiengeschichte zu hinterlassen. Aus diesem privaten Projekt entwickelte sich über die Jahre eine Webseite mit über 200.000 Eintragungen zu Familien aus der Algarve. Die Webseite erlaubt Nachforschungen zum Ursprung von Familien, übermittelt aber auch Kurioses, dass sich erst aus dem Studium der genealogischen Daten ergibt: Ganz nebenbei kann man Statistiken über die Entwicklung von Geburten- und Todesraten erstellen oder das Durchschnittsalter bei der Heirat oder der Geburt der Kinder – und dadurch die Demografie der Städte und Dörfer in der Algarve kennenlernen. Außerdem kann man anhand der Stammbäume auch die soziale Entwicklung der Familien über Generationen hinweg nachvollziehen und Daten darüber erhalten, wann und wo etwa aus traditionellen Fischer- oder Landarbeiterfamilien solche wurden, die aufgrund der sozialen Entwicklung fortan eher an städtische Berufe gebunden waren.

Auch der Bildungsgrad geht aus (fehlenden oder notdürftig gekritzelten) Unterschriften in alten Kirchenbüchern hervor: Noch im 20. Jahrhundert herrschte dramatischer Analphabetismus – In Guia etwa konnten von tausend Anwohnern nur etwa dreißig lesen und schreiben. Entsprechend armselig war das Leben: Ein historisches Waisenregister belegt, dass viele Menschen bei ihrem Tod nur „eine Tasche, Leinentücher und einen Stuhl“ zu vererben hatten, manche zusätzlich einen Esel.
Drei bis vier Jahre kann es dauern, die kompletten Daten einer Gemeinde zu erheben und zu bearbeiten, je nachdem, wann die Aufzeichnungen in den Archiven beginnen. In Portimão reichen die Aufzeichnungen bis zum Jahr 1575 zurück. Bisher sind Daten aus Portimão, Lagoa, Silves, Monchique und Albufeira frei verfügbar.

Bei der Beschäftigung mit der Genealogie entdeckte Nuno auch andere Fakten über die Region: Monchique wurde beispielsweise seit dem im 16. Jahrhundert vor allem von Zuwanderern aus der nordportugiesischen Region Trás-os-Montes besiedelt. Portimão hat hingegen mehr familiäre Verbindungen zu Orten in der ganzen Welt als jede andere Algarve-Ortschaft. Seit dem 16. Jahrhundert lässt sich hier auch ein deutlicher Zustrom von Einwanderern aus Italien, Frankreich und Deutschland verzeichnen, deren Urahnen noch heute hier leben; viele, ohne es zu wissen, denn die ursprünglich geführten Familiennamen sind im Laufe der Zeit verloren gegangen oder änderten sich. Portugiesen kamen besonders häufig aus Setúbal, Sesimbra und Cascais nach Portimão, aber auch Menschen aus der marokkanischen Hafenstadt Tanger siedelten sich in der Algarve-Hafenstadt Portimão an.

Die ersten vorliegenden Daten aus Albufeira stammen aus dem Jahr 1833. Scheinbar hat es in den vergangenen Jahrhunderten eine wie auch immer geartete Rivalität oder Verschlossenheit der zu Albufeira gehörenden Ortschaften und Stadtviertel gegeben, denn es fällt auf, dass eine überproportionale Zahl von Ehen ausnahmslos mit Partnern aus der gleichen Nachbarschaft geschlossen wurde. Umgekehrt fand Nuno Campos Inácio auffallend zahlreiche familiäre Verbindungen zwischen den Nachbarstädten Portimão und Lagoa.

Die Inquisition hat dann zu einer starken Abwanderung der Bevölkerung aus der Region geführt. Portimão hatte einst eine ausgedehnte jüdische Gemeinde, die seit dem 16. Jahrhundert praktisch verschwunden ist und es gibt keine Informationen dazu, sagt Nuno. Dasselbe gilt für maurische Familien, die nach der Recoquista aus der Region verschwanden. Im 16. Jahrhundert lebten in der Region auch Sklaven, zunächst aus Guinea, später auch aus Angola. Sie ließen sich taufen und nahmen die Namen ihrer Herrschaft an. In anderen Fällen gaben ihre christlichen Taufpaten ihnen einen Namen. Die Ururgroßmutter von Nunos Großvater gehörte in diese Gruppe: Sie war um 1750 eine der letzten Sklavinnen eines hohen Militärs in Monchique und hörte auf den Namen Joana Maria. Solche Entdeckungen tief an den Wurzeln der eigenen Vorfahren können den Blick auf die Menschen und auf die Region verändern, sagt Nuno.

Was die Auswertung aktueller Daten angeht, so muss Nuno immer häufiger um aktive Mithilfe bitten, denn Datenschutz-Verordnungen verhindern heute den Zugriff auf sehr viele Informationen jüngeren Datums.
Die Webseite zum Projekt ist: http://www.genealogiadoalgarve.com/
http://www.genealogiadoalgarve.com/
Quelle: Henrietta Bilawer / Facebook
 
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