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Natas mit Zitronengeschmack

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20. Sep. 2009
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Da ja hier im Forum schon einige fleißig von sich geschrieben habe, möchte ich es jetzt auch einmal versuchen. Vielleicht bringt es ja den Einen oder die Andere zum Lächeln:

Natas mit Zitronengeschmack oder
wie es dazu kommt, dass ich in Lamego "jeden" Polizisten kenne


Mein Mann und ich, wir lieben Natas. Für die "Nichteingeweihten" oder Nicht-Portugiesen: bei Pastéis de Nata, so der vollständige Name, handelt es sich um kleine Blätterteigtörtchen mit einer cremig-sahnigen Puddingfüllung; und wenn wir in Portugal sind, vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht jeder ein solches Teil zu einer Bica (Espresso) oder einem Galão (Milchkaffee, quasi Latte Macchiato) vernichten.

In unserer Anfangsphase der Portugalurlaube war uns dafür jedes Café recht, Hauptsache, es gab Natas. Zwischenzeitlich sind wir da etwas schlauer geworden. Es ist immer gut, darauf zu achten, dass das Café auch gut frequentiert ist und die Puddingteilchen schön frisch sind, denn die Masse enthält auch Ei, was bei portugiesischer Sommerwärme leicht verdirbt.

An einem sonnigen Nachmittag unseres ersten Urlaubstags suchten wir also ein Café einer portugiesischen Kleinstadt an der Markthalle auf, bestellten unsere üblichen Galões und Natas. Eine freundliche Bedienung stellte uns das gewünschte auf den Tresen und wir bewunderten die dick mit Zimt bestäubten Gebäckstücke. Beim Hineinbeißen erlebten wir dann eine kleine Überraschung: Nicht nur dass wir die Version mit so viel Zimt bisher noch nicht kannten, sondern auch der Pudding hatte ein ungewohntes Aroma, irgendwie säuerlich. Zitrone analysierte ich nach einigen Sekunden, ja, das muss wohl Zitronenaroma sein. Merkwürdig…, ungewohnt…, aber durchaus essbar, wenn wir auch den uns bekannteren Vanillegeschmack bevorzugten. Also verspeisten wir die nicht ganz so knusprigen aber dafür umso kräftiger gewürzten Natas und genossen dazu unseren Café.

Einige Stunden später stellte sich bei meinem Mann das erste Unwohlsein ein. Wir taten es mit seinem üblicherweise auf Kostumstellung empfindlich reagierenden Magen ab. Abends bestellten wir im Restaurant für ihn eine Suppe, am nächsten Tag machten wir ein quasi "Schonprogramm", d. h. keine großen Ausflüge, ein bisschen Spazierengehen und in der Sonne sitzen, abends wieder Suppe, etc. Sowohl mein Mann als auch sein Magen beruhigten sich im Laufe der nächsten Tage. Nur an "anstrengenden Tagen", d. h. beispielsweise eine vierstündige Autotour nach und durch Porto - na ja, bei dem Verkehr -, war mein Göttergatte immer sehr erschöpft und bekam etwas Bauchgrimmen und leichten Durchfall - aber das Arbeitsjahr war hart gewesen, in der Firma war massenhaft Arbeit angefallen und man wird eben nicht jünger, so erklärten wir uns sein "Schwächeln". Also wurde wieder ein Schontag eingelegt, mein Schatz fühlte sich wieder besser … so ging es eine gute Woche lang. Dann rächte sich das Teigteilchen vom Urlaubsbeginn fürchterlich:

Wir waren zwischenzeitlich bis nach Lamego weitergereist und in der Nacht nach der Ankunft dort ging's dann richtig los: zuerst Erbrechen, dann Durchfall, und im Laufe des Folgetages steigerte sich das ganze noch mit hohem Fieber. Da half auch kein Schontag mehr, jetzt musste jetzt der "Doc" 'ran! Doch woher nehmen?

Hatte ich doch vor Beginn des Urlaubs in mehreren Reiseführern gelesen, dass man in Portugal das Prinzip des "Hausarztes", so wie ihn es in Deutschland gibt, so gar nicht kennt, und als Urlauber müsse man sowieso immer in ein Krankenhaus und sich dort ambulant behandeln lassen, wofür man sehr viiiiieel Zeit mitbringen müsse. 4 Stunden Wartezeit seien durchaus normal, sagten die Reiseführer. Wie sollten wir das denn bewerkstelligen? Hätte mein Schatz ein Abendgebet gesprochen, wäre sicherlich die Formulierung "… und trenne mich nicht von meinem Klo …" darin enthalten gewesen. Außerdem war er so schwach, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte, selbst auf dem Weg ins Bad musste er gestützt werden.

Wie sollte ich (1,64 m) diesen großen Mann (1,97 m) den Weg zum Fahrstuhl, von dort in die Tiefgarage und dann zum Auto bekommen? Ganz zu schweigen, von dem Krankenhaus und der dort anfallenden Wartezeit. Oh, sch… portugiesisches Gesundheitssystem! In allen Ländern, die ich bisher bereist hatte gab es Hotelärzte, nur hier in Portugal eben nicht.

Ich beschloss "Angriff ist die beste Verteidigung" und machte mich am Nachmittag des Folgetags auf den Weg zur Rezeption. Immerhin sprach man in diesem 4*-Hotel Englisch, wie ich am Vortag bei der Anreise zu meiner Beruhigung festgestellt hatte. Leider hatte am heutigen Tag eine andere Truppe Dienst und in dieser Schicht - der einzigen Schicht des Hotels, wie ich später erfuhr - war eben keine englischsprachige Angestellte oder Angestellter! Also kratzte ich meine damals noch sehr rudimentären Portugiesischkenntnisse zusammen und verlangte: "Ich brauche den Hotelarzt!", sehr wohl wissend, dass es diesen gar nicht gab.

Natürlich wusste die junge Dame hinter dem Tresen nicht, was ich mit "Hotelarzt" meinte, und ich erklärte: "Mein Mann ist krank und wir brauchen den Hotelarzt." Freundlich erklärte sie mir, dass es keinen Hotelarzt gäbe und wir in die Ambulanz des Hospitals müssten. Ich schilderte der Dame die Beschwerden meines Mannes und erklärte, dass diese Beschwerden ein Verlassen des Hotelzimmers ausschlössen.

Jetzt galt es eine schauspielerische Glanzleistung zu liefern: "Sie sind ein 4*-Hotel, Sie müssen doch einen Hotelarzt haben. OK, wenn schon nicht permanent vor Ort, aber es muss doch einen Arzt geben, den sie anrufen, wenn einer Ihrer Gäste krank ist! Sie sind doch ein Geschäftsreisehotel" Ich heuchelte Unverständnis, und bei der Dame an der Rezeption machte sich langsam auch Panik breit, da mein Tonfall signalisierte, dass ich wohl ein 4*-Hotel schon leicht unter Niveau fände und mein üblicher Aufenthaltsort eher die 5*-Plus-Häuser seien - wenn die gewusst hätte …

Die Diskussion zog sich hin: ich beharrte darauf, den Hotelarzt sprechen zu wollen, sie erläuterte mir, dass es einen solchen gar nicht gäbe, ich tat als dächte ich, sie wolle sich einen schlechten Scherz erlauben. Plötzlich fiel der Rezeptionistin ein: "Wir haben da einen Kunden, der macht hier immer seine Familienfeiern, der ist Arzt, aber nur für Kinder und für hier …", ihre Hand fuhr an ihrem Hals auf und ab. Hmmh, ein Kinder-HNO-Arzt würde bei einer Lebensmittelvergiftung, denn aufgrund des hohen Fiebers musste es ja wohl eine solche sein, nicht viel ausrichten können, dachte ich. Das muss sie wohl auch gedacht haben, denn sie setzte fort: "…, aber vielleicht hat der ja einen Kollegen, der hier nach Dienstschluss auf dem Weg nach Hause vorbei kommen kann."

Das schien uns beiden die beste Lösung zu sein. Die Rezeptionistin telefonierte, ich telefonierte auch - von meinem Handy aus, und zwar mit einem meiner portugiesischen Kollegen in Deutschland, um mich für den Notfall seiner telefonischen Übersetzungsunterstützung zu versichern. Leider erreichte ich nur seine Frau, die auch nicht gerade über perfekte Deutschkenntnisse verfügte. Fünf Minuten und einige Telefonate später teilte mir die Rezeptionistin mit, dass in ca. 40 min. der Arzt käme. Ich ging wieder hoch ins Zimmer und wir "harrten der Dinge, die da kommen mochten":

Die Dinge kamen in Person eines ca. Mitte 40-jährigen freundlichen und gepflegten Herren, der sich als Arzt vorstellte, seinen Namen erinnere ich heute nicht mehr. Wie wir sehr schnell feststellten, sprach dieser Mediziner kein (aber wirklich nicht ein einziges) Wort Englisch! Ich hatte einen 14-tägigen Portugiesisch-Crash-Kurs bei Berlitz in Deutschland hinter mir - so viel zu meinen damaligen Portugiesisch-Sprachkenntnissen - die ja schon während der Diskussion an der Rezeption deutlich an ihre Grenzen gestoßen waren. Gott sei Dank stellte sich jedoch heraus, dass der Doc einige Jahre in Frankreich gewesen war, ob nun fürs Studium oder aus anderen Gründen. Und da ich als Fremdsprachensekretärin vor gut 15 Jahren auch Französisch und Spanisch gelernt hatte, war eine Verständigung somit leidlich möglich.

Der Arzt untersuchte meinen Schatz und stellte immer wieder fest, dass wir uns keine Sorgen zu machen bräuchten, mein Mann wäre "muito forte". Er verschrieb ein Antibiotikum und ein fiebersenkendes Mittel und schrieb auf unsere Bitte hin auch eine Rechnung. Da er bis auf seinen Rezeptblock kein anderes Papier mit hatte, benutzte er einfach den Briefbogen des Hotels, den wir im Zimmer fanden. Nach 5 Minuten, einigen guten Ratschlägen hinsichtlich der Ernährung in den nächsten Tagen (Brühe mit Reis - Canja com arroz) und dem Kassieren seines Honorars war der Arzt weg. Offensichtlich hatte er vor dem ausländischen Patienten mindestens genau so viel Angst bzw. Respekt gehabt, wie wir vor dem ausländischen Arzt, denn als ich ein paar Minuten später nach unten ging, um die Medikamente zu besorgen, sah ich Herrn Doktor an der Hotelbar mit einem enorm großen Cognac sich die Stirn wischend sitzen und sichtlich entspannter als noch oben bei uns.

Mein nächster Gang führte mich an die Hotelrezeption: "Könnten Sie mir sagen, welche Apotheke hier im Ort noch geöffnet hat?" Es war mittlerweile schließlich 20:00 h. "Natürlich" wusste man im Hotel nicht, welche Apotheke Notdienst hatte, "aber fahren Sie doch mal in die So-wie-So-Straße, in der sind ganz viele Apotheken. Vielleicht hat ja eine von denen offen."

Gesagt, getan. Die Straße war leicht zu finden, die erste Apotheke auch, etwas Licht brannte auch noch im Geschäft, also Aussteigen, Tür a… nein, die Tür war abgeschlossen. Aber da kam mir ein Polizist entgegen. "Entschuldigung, wissen Sie, welche Apotheke geöffnet hat, ich benötige dringend Medikamente, mein Mann ist krank." Nein, der freundliche Ordnungshüter wusste nicht, welche Apotheke offen hatte, "aber fahren Sie mal weiter die Straße 'runter, da kommen noch ein paar Apotheken."

Ab ins Auto, nächste Apotheke angesteuert, aussteigen, zur Tür…, auch abgeschlossen, aber wieder ein Polizist in der Nähe: "Entschuldigung, wissen Sie, welche Apotheke …", usw. Nein, auch dieser Uniformierte hatte keine Ahnung über Apothekennotdienst, "aber fahren Sie mal weiter die Straße 'runter, …"

Wieder ab ins Auto, nächste Apotheke, aussteigen, Tür probieren, abgeschlossen - und es war wie im Slapstick-Film - wieder ein Polizist in der Nähe! "Entschuldigung, wissen Sie, welche Apotheke …" Dieser Beamte war deutlich kreativer als seine beiden Kollegen, mit denen ich bereits das Vergnügen gehabt hatte. (Und Vergnügen meine ich dabei nicht ironisch, denn freundlich und höflich waren die Herren wirklich, ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen, die ich mit ihren deutschen Kollegen gemacht hatte, wenn ich dort einmal nach einer Auskunft gefragt hatte!) Er nahm also sein Funkgerät zur Hand und erkundigte sich bei der Wache nach einer offenen Apotheke. Die, die er mir beschrieb, hatte ich bereits am Vortag bei unserer Anreise registriert gehabt, so dass ich sie auch schnell fand, die Medikamente (für einen für deutsche Verhältnisse Spottpreis) erstand und wieder ins Hotel zurückfuhr und meinen Mann mit Chemie "voll pumpte".

Ca. 20 min. nachdem er das fiebersenkende Mittel eingeworfen hatten, begann mein Schatz sich zu beklagen: Er friere! Oh Gott, nicht auch noch Schüttelfrost, stöhnte ich innerlich auf. Als ich ihn jedoch daraufhin anfasste stellte ich fest: Das Fieber war weg, er fühlte sich angenehm temperiert an! War waren fasziniert. Ein so schnell wirkendes Mittel war uns noch nie begegnet und bereits am nächsten Morgen fühlte sich mein Schatz gut genug, mit mir in den Ort zu fahren um unsere Escudobestände - das war noch vor Euro-Einführung - wieder aufzustocken, in die der Arztbesuch eine große Lücke gerissen hatte.

Unten in der Stadt, auf dem Weg vom Auto zum Geldautomaten begegneten wir einem Polizisten, einem der Herren, die ich just am Vorabend bei meiner Apotheken-Rundreise konsultiert hatte. Er grüßte freundlich und fragte auch noch: "Tudo bem, " also "Alles in Ordnung?" Ich bejahte. Mein Süßer stellte fest, "die sind aber freundlich hier." Nachdem wir das Geld geholt hatten, wollte mein Mann noch ein kleines Stück in der Sonne spazieren gehen, damit sein Kreislauf wieder "rund" liefe, meinte er. Auf der Avenida kam uns ein anderer Polizist entgegen, auch er grüßte freundlich - er kannte mich ja auch schon - und erkundigte sich nach dem Befinden. Mein Göttergatte warf mir, während ich Smalltalk machte, einen langen, verwirrten Blick zu. Es war also an der Zeit, dass ich ihm von der Odyssee des Vorabends erzählte und wir haben herzlich gelacht.

Noch in den kommenden Jahren, jedes Mal, wenn wir ein paar Tage in Lamego verbrachten, haben wir den einen oder anderen der beiden Polizisten wieder getroffen, und sie haben uns immer freundlich gegrüßt, obwohl Lamego ja nun kein kleines Dorf ist, und wir bestimmt nicht die einzigen Touristen sind, die dort hin kommen. Aber irgendwie sind wir wohl in bleibender Erinnerung geblieben und mein Mann macht stets den Scherz: "Du kennst ja auch jeden Polizisten in Lamego".
Nur den einen Polizisten, der per Funkgerät die Wache kontaktiert hatte, den habe ich nie wieder gesehen. Schade, bei ihm hätte ich mich gerne noch einmal bedankt.
 
Herrliche Geschichte, ich musste eben laut lachen! Wirklich zu ulkig! :D

Die Natas esse ich auch für mein Leben gern!! :yes:

Lieben Gruss
Tina
 
Hallo Cati,

danke dass du uns an deiner Geschichte teilhaben lässt. Konnte mir das schmunzeln nicht verkneifen. :D

LG
Nana
 
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