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Brauchtum im Herbst

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15. Okt. 2017
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Das Klima in Portugal ist sommerlich, dennoch kündigt sich der Herbst an. Vor allem in ländlichen Gegenden, wo sich der Alltag an der Natur orientiert. Im September beginnt der Weidewechsel der Schafherden. „Schafe ziehen sich aus, um ihren Herrn anzuziehen“, lautet eine portugiesische Spruchweisheit und mancherorts wird die Erinnerung und die selten gewordene Gegenwart der Schäfer, deren Beruf vom Aussterben bedroht ist, und der Herden im Jahreszyklus der ‘Transumância’, der Wander-Schaftierhaltung, zelebriert.

In Portugal ist der Begriff aus dem Wortschatz ebenso verschwunden, wie die Entsprechung „Transhumanz“ aus dem Deutschen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war sie charakteristisch für den Mittelmeerraum. Bei der Wahl soeben zu Ende gegangenen Wahl der „7 Wunder der Volkskultur“ (https://7maravilhas.pt/) stand diese landwirtschaftliche Kultur, wie sie in dem 1.000 Einwohner zählenden Ort Alpedrinha nahe Fundão in Zentralportugal seit Menschengedenken zum Leben gehört, ganz oben auf der Kandidatenliste. Gewonnen haben dann allerdings buntere, lautere, farbigere Elemente der portugiesischen Folklore.

Schafzucht wurde auf der Iberischen Halbinsel schon in der Jungsteinzeit betrieben. Hirten lebten das unstete Leben von Nomaden vermutlich seit der Römerzeit, wie Funde auf alten Weidewegen nahelegen. Ihr Weg beim Wechsel der Weideplätze durch offenes, allgemein zugängliches Land bot stets Anlass zu Konflikten mit sesshaften Ackerbauern. Damals wie heute war das Schäferwesen „ein Beruf mit hoher Flexibilität und dem Charakter des Prekariats“, heißt es in Alpedrinha. Die Beschreibung klingt sehr Ökonomie-Lehrbuch, denn es sei „notwendig, die Dinge mit modernem Wortschatz zu erklären, damit die Menschen das begreifen.“

In den ersten acht Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, unter Besiedelung durch die Römer und die Westgoten gab es allerdings strenge Gesetze zum Schutz der Schäfer, ihrer Herden und Weideplätze. Annalen aus dem Mittelalter bezeugen eine bedeutende Zunahme der Schafzucht. Ihr Goldenes Zeitalter kam mit der Industriellen Revolution: Die neuen dampfkraft-betriebenen Webstühle ließen die Nachfrage nach Wolle explodieren.

Portugal war eines der europäischen Länder, in dem sich das Schäferwesen am längsten behaupten konnte, allerdings mit enormen regionalen Unterschieden. Interessierter Nachwuchs ist kaum in Sicht. Der Tiertransport über mehrere hundert Kilometer per Eisenbahn ist schneller und weniger strapaziös als der lange Weg zu Fuß von Weide zu Weide. Auch Agrar- und Umweltpolitik kollidieren teilweise mit den Traditionen der Hirten.

Doch in dieser Jahreszeit erinnern die traditionellen Gemeinden an die Zunft und das Wanderleben, Orte wie Alpedrinha begleiten den herbstlichen Alm-Abtrieb mit Musik und regionale Speisen (die in Corona-freien Jahren üblichen Kirmes-Veranstaltungen und Ausstellungen werden dieses Jahr sehr sparsam ersetzt). Der Rat der Stadt Fundão jedenfalls will das Brauchtum bewahren, selbst wenn der Beruf womöglich kaum zu retten sein wird.

Der jahreszeitliche Wechsel der Weidegebiete hat die Menschen stets zusammengeführt. Symbolisch dafür steht in vielen Gemeinden ein morgendlicher Spaziergang am dritten September-Wochenende: Die Anwohner (aber auch interessierte Zugereiste) begleiten die Schäfer und ihre geschmückten und mit Glocken (chocalhos) behängten Herden auf dem Weg von der Sommerweide. In Alpedrinha führt diese Wanderung an einem alten römischen Reiseweg zwischen dem Ort und der Distrikts-Hauptstadt Fundão entlang.

Das ist traditionell der große Tag für die Trommler-Gruppe ‘Zabumbas de Alpedrinha’. Beim Transumância-Festival 2004 schlossen sich ein paar Anwohner aus Spaß dem Zug an. So entstand eine neue Folklore-Gruppe, die seither viele Festivals im ganzen Land begeisterte (https://www.tocarufar.com/…/Grupo-de-bombos-As-Zabumbas-de-… und https://www.facebook.com/zabumbas.alpedrinha).

Die Technische Hochschule in Viseu erstellt seit Jahren mit Kulturvereinen eine Langzeitstudie über „die letzten Wege der Wanderschäfer“. Auch andere Gebirgszüge erhalten das Gedenken an die Schäfer und ihre Wanderschaft: In der Serra da Estrela zeichnet das Museu de Lanifícios in Covilhã (https://www.centerofportugal.com/…/ent…/museu-de-lanificios/ und https://www.visitcovilha.com/destinati…/museu-de-lanificios/ und https://www.facebook.com/museu.delanificios/) gemeinsam mit spanischen Historikern und Völkerkundlern die Woll-Straße „Rota da Lã – Translana“ nach: Es gibt mindestens hundert Orte beiderseits der Grenze, wo das alte Gewerbe anhand von Weide- und Schurplätzen, Tränken und Textilfabriken touristisch und museologisch präsentiert werden könnte.

Das Museum selbst befindet sich an einer historischen Stätte, in der uralten Textilfabrik ‘Real Casa de Panos’, die im 18 Jahrhundert im Auftrag des Marquês de Pombal errichtet wurde – ein Markstein in der Geschichte der portugiesischen Textil-Industrie. Auch die weitere Erschließung solcher Orte und Wege könnte langfristig zu einer Umstrukturierung im Tourismus beitragen, der sich in Portugal (nicht erst seit Corona) diversifizieren möchte.

• Meine Bilder zeigen das Denkmal für den Beruf der Schäfer, das der Ort Alpedrinha aufgestellt hat, sowie Szene aus dem Schäferleben.​
 
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