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Anekdote: Dörfer in Schiefer

“Per Aspera Ad Astra” oder Dörfer in Schiefer

Das Asphaltband der A1 spult sich vor uns kontinuierlich ab und wir wollen nach Norden. Die Perlenkette der Hindernisfahrer in der mittleren Spur nimmt kein Ende, aber es ist mir zwischenzeitlich unwichtig, solange ich rechts oder manchmal auch links vorbeiziehen kann.

Als wir die alte Universitätsstadt Coimbra erreichen, ist es Zeit für einen Snack. Sie behauptet, sich auszukennen und lotst mich trotz der Einwände des Navi-Systems einmal rechts herum, einmal links herum und jedes an der Straße liegende Restaurant findet keine Gnade vor ihren Augen. Und dann sind wir aus Coimbra herausgefahren. Und ich weigere mich standhaft, zu drehen. Also eilt unser Blick der Straße voraus, um vielleicht doch irgendwo etwas Eßbares aufzutreiben. Road killed kommt nicht in die engere Auswahl. Am Ende bleibt es doch ein Snack und kein Menü.

Das Navi tut sein Bestes. Es navigiert uns ins das portugiesische Hinterland, in die gebirgigen Provinzen Beiras. Mit jedem Kilometer nimmt die Rauheit der Landschaften zu und gleichzeitig auch die Entfremdung vom besiedelten Teil des Landes.

Es muß jedenfalls S. Pedro sein, das sie als unseren ersten Fotostop ausgesucht hat. So steigen wir also aus, umrunden gemeinsam das kleine Gebäude, ohne genau zu wissen, worum es sich hier handelt. Nirgendwo finden wir einen erklärenden Hinweis. Aber die ersten Fotos werden geschossen und kein anderer Besucher stört dabei. Es gibt keine.
Ich lasse meinen Blick umherschweifen. Plötzlich verhakt er sich an einer portugiesischen Schönheit. Heimlich schiele ich weiter zu diesem Blickfang, überlege schnell, ob ich es wagen kann, ein Zufallsfoto von ihr zu schiessen. Wie sie dasteht, auf der anderen Strassenseite unter einem von Weinreben umrankten Dach und bewegt sich nicht. Der Teint scheint etwas grünlich zu sein, ahhh, hier und da ein wenig Akne oder Pickel, und bei näherer Betrachtung durch das Teleobjektiv zeigt sich auch das Fahrgestell leider nicht so makellos. Ich entdecke einen Senk- oder Plattfuß vorne links. Von mir aus gesehen.

Da tritt meine Lebensgefährtin dicht an mich heran, schaut mir streng in die Augen und sie sagt, was sie als Frau sagen muß: „Wir brauchen in der Stadt wirklich keinen alten Traktor!“ Technik-Banause!

Sie tut, als habe sie ein Leben lang schon in Monte Alto gelebt. Also muß ich den Berg hinauf und rolle in einen großzügig angelegten Park. Eine grandiose Aussicht in die Täler ist der Dank, daß ich ihrem Rat gefolgt bin. Große, schattige Bäume, Parkbänke zum Ausruhen, einzelne Gärten und diese weiße Kirche. Die übergroße Eingangstreppe ist verziert mit einer ca. 10 m breiten Abbildung aus blauen Fliesen. See mit Schwänen. Während ich dieses bewundere und fotogafiere, brummelt mein Magen ein Kommentar über Gänsekeule und Klöse. Wir Beide behalten das vorsorglich für uns.

Der Wagen rollt jetzt nach Osten und nimmt die Berge als nächstes Ziel. Selbst das Navi bekommt Kopfschmerzen vom kurvigen, steilen und rauheren Strassen. Nach einem Klick am Lenkrad zieht es sich devot zurück ins Armaturenbrett. Es wird jetzt nicht mehr benötigt. Jetzt ist meine Gelegenheit gekommen, die immer nackter und steiniger werdenden Berge zu befahren und den direkten Weg nach Piódão zu suchen. Das klappt hervorragend und meine Lebensgefährtin lernt mich als dynamischen und furchtlosen Pionier kennen. Schiefer und Granit bestimmen nunmehr die Umgebung und Krüppeleichen und Kiefern setzen hier und da grüne Akzente. Unwirtlich ist die Gegend geworden, geradezu menschenfeindlich und entvölkert. Die letzten Häuseransammlungen liegen weit zurück und unter uns, doch das staubige Band einer Schotterstrecke weist nach Osten. Nach oben. Zum Ziel.

Zwei Tage nach unserer Expedition, so höre ich, versuchte die Staubwolke, von uns erzeugt, sich doch noch zu setzen. Zwei Tage fiel jeglicher Verkehr wegen abgedunkelter Sonne aus. Aber jetzt gibt es kein zurück. Wer will sich schon in seiner eigenen Staubwolke zurücktasten? Vorwärts.

Das Schütteln endet hoch oben auf einem Bergrücken und gibt den Blick frei auf Piódão tief unten im Tal. Und wir gleiten in das Örtchen hinein und kommen auf dem Marktplatz der Souvenirhändler zu stehen. Häßlicher Schund aus Schiefer wird uns feilgeboten. Selbst die beiden Cafes sind geschrumpft, weil auch dort überall Brot, Honig, Schiefer und Souvenirs für Küche, Wohnzimmer und alle Lebenslagen das Bild beherrscht. Nach einiger Zeit und mehreren Touristen ist der Marktplatz völlig chaotisch zugeparkt. Wir beschliessen erst einmal eine Stadtrundfahrt.

Neben dem Marktplatz gibt es noch eine abgrundhäßliche in weiß/blau getünchte Kirche, die mich an die einschlägigen sakralen Bauten unserer ausländischen Mitbürger erinnert, und der nur noch das Minarett fehlt. Ansonsten sind alle Häuser aus Schiefer und sie sind interessant anzuschauen. Die kleinen Gässchen lassen uns zwischen diesen Häusern herumsteigen und laden zum Fotografieren ein. Hin und wieder steht ein kleines Fenster offen und wir können einen Blick hinein riskieren. Ziemlich beengt aber ordentlich und sauber. Nur ganz wenige Mauern sind kurz vor dem Einsturz. Und an vielen Ecken wird fleißig restauriert. Jedes Haus hat einen Nabelschnur zur Infrastruktur, was aber nicht gleichzusetzen ist mit Komfort hinter diesen nassen Schieferwänden.

Mein Auge freut sich über die wenigen neuen Gebäude, die um den Ort herum in den Berghang gestellt und weil diese wenigstens äußerlich den Schieferhäusern angepaßt sind. Selbst kleine Steinhütten fügen sich geduckt in das Bild ein. Dieses aber verschwindet ziemlich rasch, weil Sonne und Licht recht schnell abgestellt werden. Ebenso schnell fallen wir in ein abseits auf einem Plateau stehendes Hotel ein und hoffen, ein warmes Plätzchen dort zu finden.

Wenn man bei diesen Touristenströmen die einzige Herberge weit und breit ist, kann man gut wählerisch und teuer sein. Ein ausländisches Nummernschild hilft zwar beträchtlich, doch ist erst einmal das Wasser für Stunden ausgefallen. Etwas verstimmt und verstaubt gönnen wir unseren knurrenden Mägen ein Buffett, über das hier nicht viel gesagt werden soll. Danach schlafen wir bei offenem Fenster in einer totalen Finsternis und mit kalt-frischer Luft wie die Murmeltiere. Das Buffett zum Frühstück sei hier nicht erwähnt.

Zurück zwischen den Schieferwänden und ohne Touristenströme zu dieser frühen Zeit können wir noch mehr Fotos unter anderen Lichtverhältnissen schiessen, bis die Speicherkarten ächzen. Dann folgend wir der Straße auf die andere Bergseite nach Chas d’Egua. Ein kleines Dörfchen mit wenig Charme. Foz d’Egua dagegen ist eine Ansammlung von Schieferwänden und Dächern mit zwei wirklichen Attraktion. Eine Seilhängebrücke für Fußgänger über eine kraterähnliche Vertiefung, in der zwei Bächlein zusammenfliessen und jemand ein Stück echten Strand aufgeschüttet hat. Alles Privatbesitz.

Um dieser abgeschiedenen und sterbenden Gegend in der Serra de Estrela, Portugals höchstem Gebirge, mit Mund-zu-Mund-Beatmung etwas auf die Beine zu helfen, wurde hier die zehn schönsten Dörfer unter Denkmalschutz gestellt. Man reanimiert die Häuser und die wenigen Einheimischen und vertraut auf den Tourismus. Und hat eine Freilichtmuseum daraus gemacht.

Das Navi darf jetzt wieder den Ton angeben und soll uns zur nächsten Autobahn führen. Gesagt, getan. Es weiß nicht, daß wir jetzt einsame Berghänge sehen werden. Diese sind wellig begrünt und in unterschiedlichem Licht einfach fotogen. Dazwischen geben die Berge uns den Blick frei auf kleine Dörfchen, dicht an die Hänge geschmiegt und umgeben von wohl mühsam aufgeschütteten Terassenfeldern. Aber auch die Vegetation stellt sich wieder ein, je tiefer wir hinabgleiten. Schattige Nadelwälder wechseln sich mit Büschen ab und bedecken die Schieferflächen, auf denen sich keine Flora halten konnte.

Und weil wir der Zivilisation näher kommen, entdecken wir die ersten Wegweiser zur erhofften Autobahn. Und da ist es nur noch eine Frage von wenigen Stunden, bis wir vom Lärm und Chaos von Lissabon eingefangen und umschlossen werden.

© OScAR 2008.

P.S. Ein paar Fotos dazu habe ich in ein Forum-Album gestellt. Und Chica mag mir ob des langen Textes vergeben. :whistle:
 
chica vergibt.
bittet aber künftig um zwei bis drei kürzere postings ;)
liest sich einfach besser.
 
Hallo chica,

warum aufteilen?
Wer die Anekdote liest, liest diese doch an einem Stück und scrollt dann mit Lesegenuss runter!

Sonst besteht ja auch die Gefahr, dass eine anderer user "dazwischenfunkt".
Und wer es so eingestellt hat, dass die neuesten postings zuerst erscheinen, liest dann z.B. den 3.Teil als erstes ....?
 
warum aufteilen?
Wer die Anekdote liest, liest diese doch an einem Stück und scrollt dann mit Lesegenuss runter!

Sonst besteht ja auch die Gefahr, dass eine anderer user "dazwischenfunkt".
Und wer es so eingestellt hat, dass die neuesten postings zuerst erscheinen, liest dann z.B. den 3.Teil als erstes ....?

Also ich finde, HJB hat völlig recht. Wem der Beitrag zu lang ist, der kann ja an jeder beliebigen Stelle mit dem Weiterlesen aufhören.

Gruß
Renha
 
ich komm halt aus der zeitungsecke - und da nennt man sowas langes "bleiwüste" und es ermüdet die augen...
ich hab die erfahrung gemacht:
wenn man sowas langes sieht, kann (!) das auch e bissle abschreckend wirken.
und das wär mehr als schade!

aber: ok ok - wie ihr meint :hum:
kann ich mit leben, weil ich les ja auch wegen des inhalts.
 
@ Chica

Ich weiß, was du meinst... ich hab auch als erstes "Bleiwüste" :eek: gedacht.

Aber da es tatsächlich eine zusammenhängende Geschichte ist, ohne Zwischen-Kapiteln (und damit Zwischen-Überschriften ;)), wäre es vermutlich "blöd", die zu unterteilen.:hum:

Und: Ich hab sie auch ganz und an einem Stück gelesen. :)

Bjs, Eli
 
puuh - wenigstens eine... die mein journalistenauge nachvollziehen kann.

ich habs auch gelesen, logo.
aber halt auch, weil ich weiß, dass sich hinter dem nick oscar schreib- und damit erzählqualität verbirgt.

ich gebe zu bedenken: neue user wissen das nicht.
und kööööönnten sich abgeschreckt fühlen ob der fülle des textes. :holy:
was schad wär.
 
Hallo,

auf mein Argument, das je nach Einstellung z.B.der 3. Teil als erster erscheint geht keiner ein?:confused:
Der "Bleiwüste" kann man als Schreiber doch dadurch etwas entkommen, wenn man den Text mehr formatiert (Absätze, Einteilung in Kapitel, Unterstreichungen).

Ein dicker Roman ist doch auch keine "Bleiwüste". Oder sollte der Schriftsteller daraus dann 10 Folgebaende machen?

"Bleiwüste" - ein Begriff aus der Urzeit des Druckwesens mag seine Berechtigung bei Printzeitungen haben. Im Netz hat die "Bleiwüste" m.E. nichts verloren.:)
 
Hallo

Möchte eigentlich nur meine persönliche Lesegewohnheiten erläutern. Ob sie nun gut oder weniger gut sind bleibe dahingestellt. Die obige Geschichte ist eigentlich recht humorvoll geschrieben und der Verfasser hat sich auch echt Mühe gegeben den Text "auszuschmücken" und trotzdem bin ich geneigt, solche langen Geschichten nicht zu Ende zu lesen oder aber "quer". Dies obwohl ich eigentlich selber ein "Ausführlichschreiber" bin und deren Texte sind meist etwas lang.

Beschaue meine Texte auch meist am kritischsten in Bezug auf Länge und versuche zu kürzen. Ebenfalls versuche ich manchmal mit mehr Absätzen etwas mehr "Luft" ins Geschehen zu bringen. Es sei noch angemerkt, dass ich auch kein Romanleser bin. Die sind mir natürlich wirklich zu lange.

Die Redaktionen von Zeitungen, die ich ab und zu beliefere, mögen es auch nach dem Motto "in der Kürze liegt die Würze", dies obwohl schon lange keine Bleisätze mehr hergestellt werden. Aus Erfahrung weiss ich auch, dass drei Fotos zu einem Bericht mehr "hinterlassen", als deren zwölf, auch wenn es qualitativ gute Bilder sind.

So mag ich halt eher kurze und andere eher lange Geschichten oder Texte.

Es grüsst

Schildi
 
...lang aber gut!

"in der kürze liegt die würze" passt hier irgendwie nicht, da es eine sehr prosaische beschreibung ist und sicher auch sein sollte!

mir hat das lesen gut getan!

bitte mehr davon, Oscar!

lg bubu
 
"Bleiwüste" - ein Begriff aus der Urzeit des Druckwesens mag seine Berechtigung bei Printzeitungen haben. Im Netz hat die "Bleiwüste" m.E. nichts verloren.:)

Irgendwie hast du ja recht... trotzdem gibt's jede Menge Kollegen (und nicht nur ältere, die das Druckwesen noch live kennengelernt haben!) aus den Online-Redaktionen, die genau diesen Begriff "Bleiwüste" benutzen - allerdings meist mit dem Zusatz "hätte man früher bei der Zeitung gesagt"... ;)

Bjs, Eli
 
Was meint denn der OScAR zu den Kommentaren?

Ja, was meint er denn, der OScAR, zu den Kommentaren?

Zuerst einmal freue ich mich, daß diese und die vorherige Anekdote gelesen wird. Und ich freue mich auch, daß beide bisher gefallen haben. Was den Inhalt betrifft.

Daß Ihr unterschiedlicher Meinung seid ob des Umfangs, der Bleiwüste oder gar der Formatierung, ist mir nicht ganz verständlich, höre/lese mir das aber aufmerksam durch und mache mir meine Gedanken darüber. Und weil ich auf diesem Gebiet nicht mehr ganz so grün hinter den Ohren bin, wie manche wohl vermuten, neige ich schon dazu, die maximal zwei Seiten Text am Stück zu belassen. Klar, auf einem Stück Papier sieht es besser aus, vor allem, wenn ich z.B. das Foto des Traktors hineinschmuggle, und auch auf meinem PC-Schirm und meinem Handheld (wo der meiste Text ensteht) sieht es optisch auch ansprechender aus.

Ich werde mich bemühen und die konstruktive Kritik berücksichtigen. Schließlich habe ich noch ein paar mehr Texte geschrieben, die ich Euch gerne zum Lesen anbieten möchte.

Und dann will ich nicht vergessen, mich für das Lob hier und da zu bedanken.
Gruß von OScAR

P.S. desculpe, war das jetzt zu lang...?:holy:
 
zum ps:
nö. wars nicht.
nicht mal für die hex.

da ich ja auch manchmal zu langen postings neige:
ich hab mir so als "limit" gesetzt: wenn ich am bildschirm beim schreiben ganz arg scrollen muss, isses zu lang. ;)

aber mach ma, oscar.
n paar bildle als auflockerung im text allerdings wären optimal.
 
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