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5.Oktober 1910 – Ausrufung der Republik

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Mit dem Ende der Monarchie änderte sich nicht nur die Staatsform Portugals. Die nun bürgerliche Ordnung erhielt neue Regeln, das gesellschaftliche Leben setzte neue Prioritäten – und die Bürger bekamen erstmals allgemein gültige Ausweispapiere.

Beschwerlich sei die Reise nach Faro, denn „die Eisenbahn fuhr gerade mal bis Beja, von da an ging es weiter bis Mértola mit der Postkutsche, die ihre Passagiere auf ein heruntergekommenes Dampfschiffchen entließ, das den Guadiana hinunterfuhr bis Vila Real de Santo António, von wo es wieder mit einer Postkutsche weiterging, die unsere schon sehr geschundenen Knochen noch einmal kräftig durchrüttelte auf der vielstündigen Fahrt bis Faro“, so schilderte Manuel Teixeira Gomes seine Rückkehr von einer Reise im Jahr 1909.

Der Schriftsteller aus Portimão und spätere Staatspräsident bereiste in jenen Jahren Europa, Nordafrika und den Nahen Osten als Repräsentant seines Landes und der Firma seines Vaters, die Trockenfrüchte aus der Algarve exportierte. Dem angesehenen Geschäftsmann und Diplomaten standen alle Türen offen – auch solche, bei denen Administrationen im Allgemeinen einen Riegel vorgeschoben haben: Wer reisen wollte, musste, wo immer er eine Grenze passierte, seine Identität und den Zweck seiner Fahrt nachweisen. Dazu brauchte man Ausweispapiere. Was später ‘bilhete de identidade’, Identitätskarte, heißen sollte, war noch nicht Usus, als Teixeira Gomes reiste. Der Personalausweis wurde in Portugal erst nach der Ausrufung der Republik Wirklichkeit.

Seit dem Frühmittelalter waren Ausweise auf einzelne Personen-Gruppen und bestimmte Reise-Absichten beschränkt, galten zweckgebunden für das ‘passare portas’ – als Erlaubnis, ‘Tore passieren’ zu dürfen. Diese frühen Pässe waren teilweise sogar übertragbar. Und in der Seefahrernation Portugal wurde schon im 16. Jahrhundert jeder Seemann, der ein portugiesisches Schiff bestieg, mit Namen sowie Ruf- oder Spitznamen, Familienstand und Herkunft registriert. So lassen sich in Marine-Archiven noch heute die Besatzungen von Kriegs- und Handelsflotten vergangener Jahrhunderte nachvollziehen.

Die systematische Erfassung der Bevölkerung begann aber erst 1914, als eines der ersten Dekrete der Republikaner drei Jahre nach der Beschlussfassung umgesetzt wurde. Das hatte zunächst den Sinn, den Staatsorganen einen Überblick über seine Bürger zu verschaffen: Seit Beginn der Entwicklung industrieller Zentren stieg die Zahl der Bewohner der großen Städte geradezu explosionsartig. Wollte man die Migrationsströme innerhalb des Landes beobachten und lenken und die Bürger in ein sich langsam entwickelndes Sozialsystem integrieren, musste man wissen, wer wo lebte, woher er kam, wie alt er war und auch, wer gestorben war.

Die ersten ‘bilhetes de identidade’ waren dreiteilig aufklappbare Faltblätter, auf denen neben Name, Geburtsdatum, Körpergröße, Fingerabdruck und Foto auch Merkmale wie die Farbe von Haut, Haaren und Augen erfasst waren und ob ein Mann Bartträger war. Einer der ersten Personalausweise wurde für Manuel de Arriaga ausgestellt (Bild u.re.). Arriaga war der erste gewählte Staatspräsident der jungen Republik und er wies sich fortan auch auf Auslandsreisen mit seinem ‘bilhete de identidade’ aus und sorgte so dafür, dass Portugals Personal-Papier über die Grenzen hinaus bekannt wurde und andere Länder zu ähnlichen Dokumenten inspirierte, die erst in den 1920er Jahren einen allgemeinen, personenbezogenen Ausweis einführten: der Völkerbund beschäftigte sich in seinem Gründungsjahr 1920 mit der Regelung internationaler Ausweispapiere.

In Portugal wurde vier Monate nach dem Ende der Monarchie das ‘Registo Civil’ eingerichtet, vom Namen her ein bürgerliches Register, in das alle Eintragungen der Kirchen-Register übertragen werden sollten (anfangs für zwei Generationen rückwirkend). Damit wurde die Trennung von Staat und Kirche gefestigt, denn Geburten, Taufen und Eheschließungen erhielten nun neben der liturgischen Bedeutung auch eine zivilrechtliche.

Die deutsche Übersetzung 'Standesamt' für das ‘Registo Civil’ hat ihre Berechtigung, denn in der Tat sollten zunächst nur die Beamten einen Ausweis mit sich tragen, um ihren Stand im Staatsdienst zu belegen. Die erfassten Daten beruhten auf den damaligen kriminaltechnischen Erkenntnissen zur Identifizierung von Personen. Dazu gehörten die Abdrücke der fünf Finger der rechten Hand, unveränderliche physische Kennzeichen und ein Foto (gelegentlich auch ein zweites, das den Ausweis-Inhaber im Profil zeigte).

Der Gedanke, dass Beamte bei der Beantragung des Ausweises mit gutem Beispiel vorangehen, fand jedoch wenig Gegenliebe, denn „die Mitarbeiter fühlen sich mit Techniken der Wissenschaft beobachtet, als seien sie Kriminelle“ berichtete Alfredo Ladeira, Abgeordneter der Câmara dos Deputados, wenige Monate nach Beginn der Ausweis-Initiative. Die Freiwilligkeit hatte ein Ende, als 1919 zunächst für die Beamten die Ausweispflicht gesetzlich verankert wurde – zum Zweck der prompten Durchsetzbarkeit wurde mit Nichtzahlung der monatlichen Bezüge bis zum Tag der Registrierung gedroht.

Für Männer und Frauen ohne berufliche oder staatliche Verpflichtungen blieb das Papier bis zum Jahr 1927 freiwillig, das inzwischen um eine vierte Seite erweitert wurde und nun auch die Namen von Eltern und Ehepartnern, den Geburtsort und den Beruf des Ausweis-Inhabers trug sowie dessen Unterschrift, falls er (oder sie) schreibkundig war. Hatte der Urkundsbeamte Zweifel an den Angaben des Antragstellers, so musste dieser seine Daten durch „zwei geeignete Zeugen oder andere Belege“ nachweisen.

Der Ausweis wurde nach und nach unverzichtbar, denn es gab immer mehr Bereiche des täglichen Lebens, die die Vorlage erforderten: Der Erwerb einer Jagdlizenz oder für eine Auslandsreise, die Bestellung des Aufgebotes von Heiratswilligen, die Einschreibung in Schulen und Hochschulen und der Zugang zu einer wachsenden Zahl von Berufen. Wer staatliche Sozialleistungen erhalten wollte, musste ebenfalls einen Ausweis vorlegen.

Der Ausweis des Dichters Fernando Pessoa aus den 1920er Jahren ist im Archiv des Museums ‘Casa Fernando Pessoa’ erhalten (s.Foto unten links). Sein Dokument war auf Portugiesisch, Französisch und Englisch verfasst, was seine Verwendung als Reisedokument ermöglichte. Pessoa verdiente seinen Lebensunterhalt durch seine Arbeit als Korrespondent eines Handelskontors. Folglich ist diese Profession auch in seinem Ausweis vermerkt.

Ein ‘bilhete de identidade’ kostete in jenen Jahren etwa einen durchschnittlichen Stundenlohn eines Arbeiters – sowie einige Mühe, denn bis Ende der 1920er Jahre existierten Passämter nur in Lissabon, Coimbra und Porto. Im Stadtarchiv von Santarém ist die Akte der Bürgers António Cândido erhalten, der in den 1920ern als 15-jähriger nach einem fünfstündigen Ritt auf dem Esel aus seinem Dorf nach Lissabon gekommen war, um den Ausweis zu beantragen. Er gab zu Protokoll, er benötige das Papier, weil er ein Fahrrad als Verkehrsmittel nutzen wollte, das ihm sein Vater geschenkt hatte. Der Vater selbst erwarb den Ausweis, damit er die Lizenz für ein Fuhrwerk beantragen konnte. Die Familie besaß eine Mühle und musste das erzeugte Mehl in die Stadt bringen können. So werden die alten Pass-Anträge heute zu einem authentischen Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit vergangener Zeiten.

Gesonderte Ausweispapiere für in Portugal lebende Ausländer gibt es übrigens seit 1957.
• Die Abbildungen der Personalausweise stammen aus dem Lissabonner ‘Museu da Presidência da República’; der Ausweis von Fernando Pessoa aus der ‘Casa Fernando Pessoa’.​
 
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